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Auf dem Schlossberg - Eine Gradwanderung

Wirklich, ein Sommertag im Sommer, wie ungewöhnlich – es schneit nicht, regnet nicht, und vorläufig ist auch kein Tornado zu erwarten. Also packen wir es an. Wir verlassen das kleine Grazer Sprachinstitut, schlängeln uns durch die Herrengasse, vorbei an Zeughaus und Türkenkrieg, grüßen den Erzherzog fast im Vorbeigehen, und der Scherz, Napoleon, der hier übernachtet hat am anderen Ende der Herrengasse, sei mein Ururururururgroßvater, holt mich schließlich ein, als die Gruppe von zwölf Menschen auf dem kleinen von Häusern eingefassten und vom Schlossberg beherrschten Platz zum Stehen kommt. Sie kichern und lachen: „Ob ich nun gedenke, den Schlossberg wirklich einzunehmen?“ „Gradec“, erkläre ich, „heißt „Kleine Burg“, und die ersten Siedler in Graz seien Slawen gewesen. Meine Kollegin hingegen holt einen Folder hervor und lässt eine Person die kleine Geschichte vortragen: Graz kommt von „grät`s“ wie „geraten“, „gut gelingen“, und es waren die Bayern, die als erste Hand anlegten, um dieses Städtchen zu erbauen.
Jedenfalls, erkläre ich, ist der Turm, der dort oben steht, das Wahrzeichen von Graz. Verstehendes Leuchten in den Augen jener, die schon in einem höheren Niveau sind, und zusammengezogene Augenbrauen und Kopfschütteln bei den anderen, die vor gerade mal vier Tagen begonnen haben, Deutsch zu lernen. „Wahrzeichen“, sage ich noch mal laut und blicke mich um; die Taube dort am Rand des kleinen Springbrunnens sitzt, schaut mich mit leicht geneigtem Kopf an, bernsteinfarbene Augen blinzeln, „grugru“, möchte ich sagen und einfach hinauffliegen wie die Taube des Geistes, aber die ist weiß und kommt von oben herab. Das Gegenteil davon, der Mammon, denke ich und ziehe eine Fünf-Euro-Note aus der Tasche, die letzte übrigens für diesen Monat, und es ist erst der 19. Aber wen kümmerts, das ist jetzt nicht wichtig, es geht um „wahr“ und „zeichen“. Ich halte also den Schein gegen den Schein (die Sonne ist sicher echt) zeige auf das Wasserzeichen und sage: „Der Turm auf dem Schlossberg ist das Wasserzeichen von Graz“, deute auf den Turm, zeige auf den Streifen im Schein. Staunen. Der Inder, ein junger Architekt, blättert im Wörterbuch. Dann fliegen Erklärungen in fremden Zungen durch die Luft: Kroatisch, Russisch, Französisch und Spanisch, bis das Englische den Vogel abschießt. Ist halt doch die Weltsprache. Die Entscheidung: Lift oder Schlossbergbahn fällt, indem die ersten schon die Treppen hinanstürmen, die weichgrau schimmernd im Sonnenprall daliegen. Langsam also den Blick auf die Stadt sich erarbeiten. Die kleine Karawane windet sich nun unter der heißen Junisonne die schmalen Stufen hoch zur einst uneinnehmbaren Festung, allen voran zwei türkische Geschäftsleute mit meiner Kollegin, dann die Kroaten, gefolgt vom Kanadier, der mit der Spanierin offenbar viel zu lachen hat. Die japanische Paläontologin schirmt ihre Augen mit der einen Hand ab, die andere tastet nach dem Geländer, der sympathische Italiener hält kurz inne, denn wir hören laut und deutlich „Tor, Tor“ aus irgendeinem der Cafes mit Big-Screen heraufklingen, und später werden wir wissen, es ist seine Mannschaft, die verloren hat. Die Nachhut bilden die Dame aus Ohio und ich. Bei der ersten Gelegenheit, eine Plattform in Augenhöhe mit den Hausdächern, bleiben wir stehen, aneinander gepfercht wie die Sardinen. Ich strecke meinen Arm aus wie Napoleon und will sagen: „Dies ist meine Stadt“ – sage aber: „Dies ist der alte Kern der Stadt“, von weiter hinten höre ich: „center, center“.
Am Vormittag im Unterricht hat meine Gruppe einen imaginären Stadtbummel gemacht, um speziellen Wortschatz und Grammatik zu üben, dabei fiel das Wort „Greißler“. Der junge Kroate hatte verstehend genickt: „Chrysler“, ein Autogeschäft. Beinahe richtig, denn beide sind pleite, „Chrysler“ und die „Greißler“. Um den Unterschied für immer festzuhalten kreierten wir den Merksatz: „Ich fahre mit meinem Chrysler zum Greißler.“
Hinan also, hinan, hinauf. Ich betaste ab und an den vom Sonnenlicht erwärmten Kalkstein mit Blümchen und lustigen Flechten bewachsen, als die Dame neben mir plötzlich erklärt, sie könne morgen nicht zum Kurs kommen wegen einer Nachuntersuchung im LKH; Krebsoperation, sagt sie. Manchmal sind wir mit unserem Latein am Ende ...
Oben beim Türkenbrunnen erkläre ich, dass die Stadtväter darauf warten, bis der Brunnen (94 m) endlich randvoll ist mit Glücksmünzen, die die Besucher da hineinwerfen. Wir gucken runter, und es glänzt verlockend am dunklen Grund. „Es geht euch doch gut hier in Graz“, fragt die Ohianerin, die zwar auch lachen musste – „ja, sicher, vielleicht weniger gut, wenn du drei Kinder hast und 900 Euro für die Wohnung ... Aber, unterbreche ich mich, welche österreichische Familie hat heutzutage schon drei Kinder.“ Gut, denke ich, manche haben zehn (10), rufe dann aber „wegda“ zu den schlimmen Gedanken, bürgere sie sozusagen aus – wegda aus meinem Gehirn, auch wenn ihr da geboren seid.
„Wer hat eigentlich den Brunnen gemacht“, wollen ausgerechnet die Türken wissen, als wir schließlich am Türkenbrunnen stehen –-. „Hey, nichts für ungut“, rufe ich ...“Die Türken.“. „Oh, gute Konstruktion“, loben sie. Auch gut, sie meinten wohl „planen“, ich meinte „graben“ – beides kann man mit „gemacht“ umschreiben.
Aber auch das gefiel mir, fiel mir wieder ein so hoch oben, oder kroch vielleicht aus dem Brunnenschacht empor – Sätze wie:
„Der Pharao hat die Pyramiden gebaut“
„Romulus und Remus haben Rom erbaut“
oder die moderne Variante:
„Der Bürgermeister hat die Stadt gebaut, saniert, umstrukturiert etc.“
Wirklich, ich sah es vor mir, wie die schwitzen, der Pharao, Romulus und Remus, der Bürgermeister – wie die in die Hände spucken und zupacken. Da kommt man wirklich ins Schwitzen, wie gefinkelt so eine Sprache ist, voller Fallen und Hintertreppen, man muss höllisch aufpassen, sonst grät man in den Brunnenschacht ...
Oder das Passiv: „Die Stadt wird gebaut“, „Die Steuern werden erhöht“ – überall diese Geisterhände, die schalten und walten.
Aber ich habe eine Gruppe zu unterrichten, ihnen das Herz dieser Stadt zu offenbaren, aber die Herrschaften haben es mir schon gesagt: dies ist eine schöne Stadt mit viel Grün, lockenden Plätzen und Cafes (die paar Bettler sind keine Grazer, die müssen aus ihrem Ghetto zu uns herüberkommen, weil sie dort nichts tun dürfen, nicht arbeiten und schon gar nicht betteln).
Den ruhmreichen Anfang des krönenden Abschlusses dieser kleinen Tour bildet der Uhrturm: Jaja, die Zeiger – auch ich weiß nicht, wie spät es ist –, wer kann schon wissen, wie spät es wirklich ist? Das Wetter jedenfalls in Österreich ist nicht normal – früher sage ich, früher ... Schnee, Glitzern, nächtliche Wälder, Wölfe, Schafskälte ... und dann stopp, rufe ich, dann schmolz alles dahin, und Blumen, nein Blümlein, Vöglein, verstehen Sie Vöglein ...
Gruppenfoto mit Uhrturm.
Wir steigen höher, genießen den Blick auf blau schattenden Wälder und den glitzernden Streifen Mur mit den herzlosen Fischlein drinnen, die sich alle vorgenommen haben zu sterben, sich aus der Welt zu stehlen, nur weil wir den Wasserspiegel dort steigen und da sinken lassen wollen. Humorloses Volk da unten. Als ob wir eine andere Wahl hätten, wir müssen, wollen frei sein, Solarzellen auf alle Dächer, die rot dort unten hocken, denn wir Grazer wollen nicht am Gashahn hängen, der auf- und zugedreht wird nach Belieben.
Als ich mal so ungefähr sechs Jahre weg war aus dieser Stadt, erkläre ich, Sie wissen schon, Paris und so, gabs eine Zeit, da ward diese schelmische Insel dort unten noch nicht. Und ich behaupte, ein Grazer kann Graz vielleicht nur entdecken, wenn er wieder zurückkommt aus der Fremde, alles neu dann, anders: die Straßen, die Semmeln, die Menschen – neu aber auch, wenn man diese Stadt Fremden zu zeigen versucht. Da gibt es immer viele offene Fragen, und wir schweigen großherzig über den Seitenscheitelmann. Aber zum Abschluss noch etwas Positives, was Aktives – die Kanonen, die hinausschauen auf die Stadt, und die Mörser in dem kleinen Museum mit dem reizenden Wärter, der unser vielsprachiges Gemurmel nur mit „an Euro Eintritt“ abzuwehren weiß. Wir blicken also hinunter, Seite an Seite mit den Kanonen und wir genießen, denn es ist vorbei, uns gehört das Land, gut, mir nicht, aber wen kümmert das? Aber, ich darf hier leben, und ich sage es ganz ehrlich zu der Japanerin, die dort hinten auf den Hügelketten Ausgrabungen gemacht hat, wie sie mir erklärt, Koralleneinschlüsse und so Zeugs, denn vor uns war das Meer, waren die Vögel und die Fische, aber ich sage es von Herzen: ich bin recht glücklich hier –.
„Ob Napoleon tatsächlich mein Urururururugroßvater war, oder ob ich bloß einen Schmäh (joke) gemacht habe?“ Die lassen nicht locker. „Wer kann das wissen, was geschehen ist vor langer Zeit – nur die Liesl weiß, wie spät es wirklich ist und beginnt zu dröhnen, so nah, und noch immer im Bauch, ganz ferner Kanonendonner. Ich richte mich auf, blicke in die Runde und sage: Es ist Zeit ..!


...




[Artikel/Marcel Fotter/15.07.2010]





    Artikel/Marcel Fotter


    15.07.2010 Auf dem Schlossberg - Eine Gradwanderung

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